„Nichts über uns ohne uns!“ [Klartext! #02]
Bereits seit 1998 ruft die Aktion-Mensch zum Protesttag für Menschen mit Behinderung am 05. Mai auf. In diesem Jahr steht das Ganze unter dem Motto #MissionInklusion. Besonders Kinder und Jugendliche werden damit dieses Mal angesprochen, aber auch Menschen, die in Schulen und mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, werden dazu aufgerufen daran teilzunehmen. Zehn Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention gibt es in Deutschland immer noch viel zu tun.
Fehlende Barrierefreiheit
Noch immer ist die Privatwirtschaft nicht zur Barrierefreiheit verpflichtet. Das bedeutet natürlich auf vielen Ebenen einen Ausschluss von behinderten Menschen. Es gibt eine ganze Reihe an Cafés, Kinos, Geschäften und anderen privaten Unternehmen, die schon durch eine Stufe am Eingang die Möglichkeiten für Menschen mit Behinderung einschränken, diese Orte zu besuchen. Öffentliche Gebäude sind zwar zur Barrierefreiheit verpflichtet, aber auch da kommen immer wieder Probleme auf. Dinge, die vielleicht 1958 als barrierefrei galten, sind es nach den heutigen Standards definitiv nicht.
Es reicht auch nicht, überall einfach willkürlich Rampen zu installieren, damit ist nämlich auch nicht jedem geholfen. Ja, das Thema Barrierefreiheit ist schwierig, vor allem, weil Barrierefreiheit für Rollstuhlfahrer beispielsweise zum Problem für Menschen mit Sehbehinderung werden kann.
Auch ich erfahre diese Probleme immer wieder. Vieles ist für mich im Rollstuhl kaum erreichbar oder es scheitert an fehlenden sanitären Einrichtungen. Häufig heißt es dann, es gäbe ja nicht so viele Rollstuhlfahrer, da könne man nicht auf alles achten. Ich sage doch, man muss sogar auf alles achten und an jeden denken. Wenn man von vorn herein Barrierefreiheit einplant, liegt man etwa fünf Prozent über den Baukosten ohne Barrierefreiheit. Wenn man aber natürlich hinterher nachbessern muss, wird das ganze deutlich teurer.
„Wir haben einen Sattel gekauft, aber ein Pferd vergessen“
Neben den Problemen in der Privatwirtschaft gibt es noch das große Thema der Inklusion an Schulen. Noch immer ist nicht in den Köpfen der Menschen angekommen, dass alle vom inklusiven Lernen profitieren. Auch Menschen ohne Behinderung haben ein Recht darauf, mit behinderten Kindern aufzuwachsen. Natürlich funktioniert es nicht, Kinder mit Behinderung einfach so in unser bestehendes System zu stopfen. Und genau deswegen ist die schulische Inklusion auch so verrufen. Wir haben einen Sattel gekauft, aber ein Pferd vergessen.
Es kann ja nicht sein, dass Kinder mit körperlicher Behinderung auf Schulen müssen, die schon am Eingang nicht barrierefrei sind. Die Lehrerausbildung und das mehrgliedrige Schulsystem machen das Ganze nicht besser. Ich verstehe bis heute nicht, wieso wir uns nicht an den skandinavischen Ländern orientieren. Selbst in Italien studieren Menschen mit Trisomie 21, werden dort sogar Grundschullehrer.
Barrieren im Kopf abbauen
Nur wir in Deutschland haben es immer noch nicht geschafft, Barrieren im Kopf abzubauen. In unserem gesellschaftlichen System werden Menschen mit Behinderung als das schwächste Glied angesehen. Das müssen wir ändern und das geht nur, wenn wir in der Mitte der Gesellschaft einen Platz finden. Durch Inklusion werden Vorurteile abgebaut und es entstehen erst gar keine Berührungsängste.
Gut ist, dass wir immer lauter werden, allerdings sind wir noch nicht laut genug. Beim Kampf gegen Rechtsextremismus, Sexismus und beim Kampf für Feminismus müssen in Zukunft die Belange behinderter Menschen ebenfalls in den Fokus rücken. Jeder hier muss sich fragen: Was tue ich eigentlich für eine inklusive Gesellschaft? Wenn wir alle mehr aufeinander achten und Barrierefreiheit ebenso im Blick haben wie andere Formen, die Diskriminierung vorbeugen, dann haben wir einen großen Schritt in Richtung Inklusion in allen Bereichen getan.
Ganz wichtig ist aber auch die Forderung „Nichts über uns ohne uns!“. Egal in welcher Form, müssen Menschen mit Behinderung in alle Prozesse eingebunden werden, nur wenn unsere Stimme ebenso gehört wird, wie die anderen, sind wir in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen.